Die marokkanische Schale

 

Du hältst sie in der Hand,

sie füllt deinen Handinnenraum.

Glasierte Tonschale, weisslich

mit türkisen Zeichen, die

unbeschwert um das Rund

kreisen. Irgendwie flatternd.

Im Frühlicht halten sie still.

Wenn der Tag steigt, rufen

sie: Milch. Du wunderst dich

über das Gehabe. Und gibst

nicht klein bei. Wasser klingt

besser. Tee am besten. Der

grüne mit Minze. Die Schale

schaut dich an. Im Tee siehst

du dich selbst. Verzerrt. Dann

beginnen die Zeichen wie

Grillen zu reden. Durch den

Dampf erkennst du das

Zucken der Wortbüschel.

Die Handarbeit in Aktion.

Jedesmal diese Verwandlung.

Jedesmal bist du bereit.

Ilma Rakusa

 

schreibt in Deutsch

 

 

 

Aus: Ilma Rakusa, «Langsames Licht», Literaturverlag Droschl, Graz 2016.

 

 

 



Gedicht gegen die Angst

 

Streichle das Blatt

küsse den Hund

tröste das Holz

hüte den Mund

zähme den Kamm

reime die Lust

schmücke den Schlaf

plätte den Frust

neige das Glas

wiege das Buch

liebe die Luft

rette das Tuch

schaue das Meer

rieche das Gras

kränke kein Kind

iss keinen Frass

lerne im Traum

schreibe was ist

nähre den Tag

forme die Frist

lenke die Hand

eile und steh

zögere nicht

weile wie Schnee

öffne die Tür

lade wen ein

schenke dich hin

mache dich fein

prüfe dein Herz

geh übers Feld

ruhe dich aus

rühr an die Welt

Ilma Rakusa

 

schreibt in Deutsch

 

 

 

Aus: Ilma Rakusa, «Langsames Licht», Literaturverlag Droschl, Graz 2016.

 

 

 


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