AARE, MEIN FLUSS, VOM MOND GESEHEN

 

Es rinnt eine silberne Ader

über die Schuppenhaut

des Planeten

verbindet den Gletscher

mit der kleinen Stadt

und dem Meer.

 

Meine Tränen sind Salzwasser

mein Herz

ein Quell.

LUMI IM AARE, PARË PREJ HËNËS

 

Një damar i artë pulson

mbi lëkurën e rreshkët

te planetit

malit të akulluar

qytetit të vogël dhe detit

i bëhet bashkim.

 

Lotët e mi kripëruar

zemra ime

burim.

Claudia Storz

 

schreibt in Deutsch

Albanisch von Ferdinand Laholli

 

Aus: «Blick durchs geöffnete Fenster», Hrsg: Isuf Sherifi und Albanischer Kulturverein «Mëmëdheu», AIKD Verlag, Prishtinë, 2005 (Deutsche Erstveröffentlichung in: «Federleichter Viertelmond», eFeF Verlag, 2005)



Djerracaku

 

Kudo ngre tendë

Nuk çan kokën

Për ftohje veshkash

 

Humb peshë

Duke uruar

Zhdukjen e natës

 

Busulla i ndryshket

Kur mbetet pykë në udhëkryq

 

Kudo ngre tendë

Djerracaku

Der Streuner

 

Überall schlägt er das Zelt auf

Zerbricht sich nicht den Kopf

Über verkühlte Nieren

 

Verliert Gewicht

Bei Wünschen

Die Nacht möge schwinden

 

Sein Kompass rostet

Wenn er am Kreuzweg steht wie festgekeilt

 

Überall schlägt er das Zelt auf

Der Streuner

Vaxhid Xhelili

 

schreibt in Albanisch

Deutsch von Hans-Joachim Lanksch

 

Aus: Vaxhid Xhelili, «Sehnsucht nach Etleva / Malli për Etlevën», Limmat Verlag, Zürich 2001



Personne n’est poète

 

Personne n’est poète

On est flamme et

On s’abat sur la roche

On sculpte la montagne

On tisse la toile le temps

 

Personne n’est poète

On est pris dans les tensions

On est entre les nuages

Courant électrique

En attente de décharge

 

Personne n’est poète

L’esprit se souvient

D’où il vient

Et il parle sa seule langue

Sa vraie grotte

Son vrai talisman

Sa kora intime

Sa lignée secrète

Son chapelet unique

La nuit de son lendemain

Niemand ist Dichter

 

Niemand ist Dichter

Wir sind Feuer und

Wir stürzen uns auf das Gestein

Wir meißeln die Berge

Wir spinnen das Netz die Zeit

 

Niemand ist Dichter

Wir sind in Spannungen geraten

Wir sind zwischen Wolken

Elektrischer Strom

Der seiner Entladung harrt

 

Niemand ist Dichter

Der Geist entsinnt sich

Seiner Herkunft

Und spricht seine einzige Sprache

Seine wahre Höhle

Seinen wahren Talisman

Seine ihm eigene Kora

Seine heimliche Nachfolge

Seinen einzigen Rosenkranz

Die Nacht seiner Zukunft

Henri-Michel Yéré

 

schreibt in Französisch

Deutsch von Ina Böhme

 

Aus: Henri-Michel Yéré, «Mil Neuf Cent Quatre-Vingt-Dix», Ivry-sur-Seine, Panafrika 2015.

Stadtsprachen-Magazin



Stagjonâi

 

lassâ

la famea

la cjasa

il bearç

l’ostaria

i amîs

las pedradas

un cîl di sisilas

i odôrs

di una vita

 

strengi

tar na valîs

i vistîts

plens di bosc

i ricuarts

e las fotografias

un toc di formadi

il livel

un salam

una cjaça

dôs coculas

il plombin

e una lagrima

ingossada

 

bussâ

la femina

i fruts

ridìnt

plens di poura

di mètisci

a vaî

e po lâ

 

cun corieras

e trenos

lontans

dulà che l’âga

a à un âti savôr

e no sàn fâ la polenta

e il vin

nol sà da nuja

e la int

a à pressa

 

pensant

a novembre

a vacja

ch'a i tocja

al pecol

rot

da olza

 

durmî

intuna baraca

cun int

ch'a rangussa

dopo vê neât

ta bira

il ricuart

di nots

plenas di fôc

e i mateçs

dal canaj

tas moschetas

Saisonarbeiter

 

verlassen

die Familie

das Haus

den Garten

das Wirtshaus

die Freunde

die Dorfstrassen

einen Himmel voll Schwalben

die Gerüche

eines Lebens

 

stopfen

in einen Koffer

Kleider

voll Waldgeruch

Andenken

und Fotos

ein Stück Käse

eine Wasserwaage

einen Salami

eine Maurerkelle

ein paar Nüsse

ein Lot

und eine erstickte

Träne

 

küssen

die Frau

die Kinder

lachend

voller Angst

dass man anfängt

zu weinen

und dann fort

 

mit Autobussen

und Zügen

weit weg

dorthin, wo das Wasser

einen andern Geschmack hat

und sie keine Polenta machen können

wo der Wein

nach nichts schmeckt

und die Leute

immer in Eile sind

 

gehen

in Gedanken

im November

bei der Kuh

die bald kalbt

bei der kaputten

Runge

des Schlittens

 

schlafen

in einer Baracke

mit andern

die schnarchen

nachdem sie

im Bier

die Erinnerung

ertränkt haben

an Nächte

voll Feuer

und an das Grabschen

des Kleinen

nach dem Schnurrbart

Leonardo Zanier

 

schreibt in Friaulisch

Deutsch von Laura Pradissitto

 

Aus: Leonardo Zanier, «Den Wasserspiegel schneiden / Sot il pêl da l'âga», Limmat Verlag, Zürich 2002.

 

 

 


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