أنا غريب.
لدي أمل
وحقيبة مليئة بالأسرار.
أحمل كلاهما وأذهب ،
مثل الصوفي الذي
يحاول بصبر أن يُزهر أينما
غرس الرب بذرته.
Ich bin der Fremde.
Ich habe Hoffnung
und einen Koffer voller Geheimnisse.
Beides trage ich und gehe,
wie ein Sufi, der geduldig
zu blühen versucht, wo immer
der Herr ihn hingepflanzt hat.
Usama Al Shahmani
schreibt in Deutsch
Arabisch von Ahmed Dahi
Aus: Usama Al Shahmani, «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch», Limmat Verlag, Zürich 2018.
تعويذة
قبل عامين ...
لما احترفتُ الرحيل
تركتُ على دفتر أخضر صورتي
ثم أمسكتُ فيها ملامح وجهي
وكنتُ الوحيد الذي يتمنى
إعادته في ثنايا الحدود
وأبقيتُ حالي على حاله ...
لم تغير به غربتي من مذاقي
وأدمنت توقيت بغداد
في ساعتي ثم أوثقته بوثاقي
ورحتُ أصرّف كل الزمان
بوقتٍ عراقي
Amulett
Vor zwei Jahren,
als ich den Beruf des Auswanderers wählte,
hinterliess ich in einem grünen Heft mein Bild.
So behielt ich die Züge meines Gesichts.
An der Grenze hoffte ich als einziger,
man weise mich zurück.
Ich behielt meine Persönlichkeit, wie sie ist,
und die Fremde hat meinen Geschmack nicht verändert.
Ich war süchtig nach der Uhrzeit von Bagdad.
Ich nahm sie in meiner Uhr und meinen Unterlagen mit.
Ich versah alle Zeiten
mit der Bagdader Uhrzeit.
Ali Al-Shala
schreibt in Arabisch
Deutsch von Ali Al Shalah, Suleimann Taufiq und Tobias Burghardt
Aus: Ali Al Shalah, «Babylonische Dämmerung», Babylon Verlag, Schweizerisches-Arabisches Kulturzentrum, www.sakz.ch, Zürich / Bagdad.
Felsen rühren sich nicht
Da liegt ein Felsen
staubbedeckt,
erstarrt und fest.
Sein Messer
wetzt daran ein Jäger,
geht vorbei.
Ein Adler lässt sich nieder,
schärft den Schnabel,
fliegt davon.
Ein Liebespaar
kommt her, verstimmt,
geht heim, vereint.
Ein Vogel ruht sich aus,
putzt sein Gefieder,
fliegt weg, lässt Kot zurück.
Ganz allein kommt einer,
schreibt den Namen der früheren Geliebten,
zieht weiter.
Ein älterer Mensch
setzt sich, seufzt tief,
macht sich auf den Weg.
Ameisen steigen hinauf
suchen herum,
eilen weg und verschwinden.
Ein Ochse
nähert sich gemächlich,
reibt den Rücken, geht.
Der Regen prasselt nieder,
als wollte er das Gestein schütteln,
zieht davon, erschlafft.
Der schweigsame Fels
hält den Atem an,
steht einfach da.
Felsen rühren sich nicht.
Athiluxmy Sivakumar
schreibt in Tamilisch
Deutsch von Eveline Masilamani-Meyer
Steine im Bach:
kahle Priesterköpfe
in andächtigem Gebet.
12. Januar 2007
Schteina in der Riis:
blutt Herugrênda
in andachtigs Gibätt.
12 Grossä 2007
Anna Maria Bacher
schreibt in Walserdeutsch (Vallader)
Deutsch von Kurt Wanner
Aus: Anna Maria Bacher, «Kfarwät Schpurä / Farbige Spuren / Tracce colorate», Limmat Verlag, Zürich 2011.
Je t’attends
N’écoute pas le vent
Qui meurt
Ne regarde pas la pluie,
C’est triste la nuit
Quand on pleure
C’est triste les larmes
De la pluie.
Ferme les yeux
Écoute le silence.
Cueille la fleur
Le soleil
Le printemps
Écoute la nuit,
Elle chante très bas
Peut-être est-ce la pluie?
Regarde le ciel,
Il est gris
Gris de pluie.
Donne-moi la main,
Marchons sans bruit
C’est beau la pluie
Quand on aime
Je t’appelle
Viens,
Je t’attends.
Vie
En vie Demeure
Tendre Prieure
Rendre Toujours
L’envie
La vie Unis
Méandre Des jours
Engendre Bénis
Devie
Mort
La mauvaise nouvelle
Les inquiétudes
Les pleurs
Le cercueil
Les condoléances,
Un prêtre qui bénit
Les oraisons funèbres
Les funérailles
Les pelletées de terre,
Qui comblent un fossé
La fin.
Tout est parti,
On n’a plus rien à gagner,
On n’a plus rien à perdre,
Tout est parti
Les autres continuent
La route.
Ich warte auf dich
Lausche nicht dem Wind
Der stirbt
In den Regen schau nicht
Die Nacht ist traurig
Wenn sie weint
Die Tränen des Regens
Sind traurig
Schließe die Augen
Lausche der Stille.
Pflücke die Blume
Die Sonne
Den Lenz
Lausche der Nacht
Sie singt ganz leise
Der Regen vielleicht?
In den Himmel schau
Er ist grau
Regengrau.
Reich mir die Hand
Gehen wir sacht
Der Regen ist Pracht
Wenn man liebt
Ich rufe dich
Alsdann
Ich warte auf dich.
Leben
Lebens Bleibe
Liebevoll Selig
Wachsen soll Ewig
Lust
Lebens Verbunden
Windung Gesegnete
Zeugung Stunden
Kraft
Tod
Die Hiobsbotschaft
Die Sorgen
Die Tränen
Der Sarg
Das Beileid
Ein segnender Priester
Die Grabrede
Die Bestattung
Schaufeln voll Erde,
Die eine Grube verschütten
Das Ende.
Alles ist hinüber,
Wir haben nichts mehr zu gewinnen,
Wir haben nichts mehr zu verlieren,
Alles ist hinüber
Die anderen gehen
Ihres Weges.
Cikuru Batumike
schreibt in französisch.
Deutsch von Ina Böhme
Lumi
Oh sa bukurë ndjehëm
Kur gurgullon Lumi.
Freskija e tij
Ma ushqenë shpirtin
Emmenbrücke, 1997
Fluss
Oh, wie schön fühle ich mich
Wenn der Fluss vor sich hin gurgelt.
Seine Lebhaftigkeit
hält meine Seele lebendig.
Emmenbrücke, 1997
Bardhec Berisha
schreibt in Albanisch
Deutsch von Martin Schällebaum & Bardhec Berisha
Aus: Bardhec Berisha, «Mirëdita, Liebste» edition magma, Brunner Verlag, Kriens 2006.
Balasti
Në shtëpinë time
Bëj jetën e lumtur
Të një qeni me zgjebe
Ujin e zi e bart
Nga kati i trembëdhjetë
Në të shtatin
Të bardhin e shpur
Nga i treti në të nëntin
I lëpij të gjithë eshtrat e mëhallës
Dhe mëlcoj plagën e madhe
Të voglat i numëroj ndonjëherë
Duke i shumëzuar me yjtë
Ditën e njimtoj nën strehë të huaj
Dhe kur të bjerë muzgu
Ndizen të gjitha xixëllonjat
E lirisë sime të përanshme
Brenda murit që s’kalohet
Në jetën time të thyeshme
Përnatë kapërcej pragun e ëndrrës
Dhe dal në tjetër planet
Emmenbrücke, 1997
Ballast
In meinem Haus
Führe ich das glückliche Leben
Eines Hundes der die Krätze hat
Abwasser trag ich
Vom dreizehnten Stock
In den siebten
Sauberes schlepp ich
Vom dritten auf den neunten
Ich schleck an allen Knochen die im Viertel herumliegen
Und versüsse die grosse Wunde
Die kleinen zähl ich manchmal
Multipliziere sie mit den Sternen
Den Tag hintergeh ich unter fremdem Dach
Und bricht die Dämmerung an
Entzünden sich alle Glühwürmer
Meiner Randfreiheit
In der Mauer die man nicht durchstösst
In meinem zerbrechlichen Leben
Überschreite ich allnächtlich die Schwelle des Traums
Und ziehe auf einen anderen Planeten
Shaip Beqiri
schreibt in Albanisch
Deutsch von Hans-Joachim Lanksch
Aus: Shaip Bequiri, «Hydra des Zorns / Hidra e mllefit» Limmat Verlag, Zürich 2014.
Maddalena
Mezzanotte minaccia. Maschi mordaci
millantano meraviglie:
magnifici muscoli, membri muschiati … misericordia!
Mentono male, mimando
mille moine, melense, mielose.
Mah, merito meglio: marameo messeri!
Moroso mio, mammoletta magra,
mimosa mingherlina:
mi manchi moltissimo.
Maddalena
Mitternacht mahnt. Muntere Männer,
Möchtegern-Machos, Musketiere mit Muskeln,
machen Mädchen mürbe.
Mich? – Meinste?
Mitleidig machen’s mich,
miauende Mannsbilder!
Mir mangelt mein Mini-Mann, mein Mignon,
mein Mümmelmann,
meine milchige Mager-Mimose.
Donata Berra
schreibt Italienisch
Deutsch von Christoph Ferber
Aus: Donata Berra, «Maddalena», Limmat Verlag, Zürich 2019.
Entre fulgor del verano
Mecerse en el vaivén de la soledad
que va dejando huella
ignorar la fe perdida
refugiarse en el canto de la lluvia
que caerá uno de estos días
hablar del amor herido
del despecho, de la traición
recorrer nítidamente la senda
empezar a sonreír
o quizás –
recordar las vislumbres de la luciérnaga.
Cuando el alma se bifurca
Salir hacia adentro
en donde el alma desvela
responder al murmullo de los ecos
seguir la cadencia del alba
detensere en el instante
sentir que te derramas
sacudirse las cicatrices
olvidar por un instante las heridas
atraversar los poros del silencio
para descubrir
que las emociones son traicioneras
saber –
que las palabras no bastan
para decir a los otros
lo que en el alma pesa
salir
pero no hacia afuera
salir sin rumbo
sin que nadie lo sepa.
Im Glanz des Sommers
Sich wiegen im Hin und Her der Einsamkeit
die ihre Spuren hinterlässt
den verlorenen Glauben ignorieren
Zuflucht suchen im Gesang des Regens
der fallen wird in diesen Tagen
sprechen von der verletzten Liebe
von Verzweiflung, von Verrat
klar den Weg beschreiten
zu lächeln beginnen
oder vielleicht –
sich erinnern an das Leuchten des Glühwürmchens.
Wenn die Seele sich verzweigt
Nach innen hinausgehn
wo die Seele wachsam weilt
dem Geflüster des Echos entgegnen
der Klangfarbe des Morgenlichts folgen
innehalten im Augenblick
fühlen wie du dich ausschüttest
die Narben abwerfen
ein Weilchen die Wunden vergessen
die Poren des Schweigens durchdringen
um zu entdecken
dass Gefühle verräterisch sind
wissen –
dass Worte nicht genügen
um den anderen zu sagen
was auf der Seele lastet
hinausgehn
aber nicht nach draussen
hinausgehn ohne Ziel
ohne dass es jemand weiss.
Marta Elizondo
schreibt in Spanisch
Deutsch von Christina Schaffer
Aus: Marta Elizondo, «Cuando el alma se bifurca / Wenn die Seele sich verzweigt» Nimrod Verlag, Zürich 2005.
СЛЕДОБЕД
Зимата с препълнена пазарска чанта
чака си таксито уморена.
Кучето пред магазина дреме
и своята скука унило примлясква.
В кафенето на чашка еспресо
самотата във вечна любов ми се врича.
Am Nachmittag…
…wartet der Winter mit überfüllter Markttasche
müde auf sein Taxi.
…schlummert der Hund vor dem Laden
und schmatzt träge seine Langeweile.
…schwört mir die Einsamkeit bei einem Espresso
im Café die ewige Liebe.
Evelina Jecker-Lambreva
schreibt in Bulgarisch
Deutsch von Evelina Jecker-Lambreva
Aus: Evelina Jecker-Lambreva, «Sammle mich…», Littera Autoren Verlag, 2008.
SCHUEH
Neu sinds
wey tüends
trucke müends
gfale tüends mer.
Ich laufe wiiter.
Gwöndlich sinds
gäre han-i-s
gfale tüends mer.
Ich laufe wiiter.
Alt sinds
Rümpf händs
vertschiegget sinds
und verschlämmeret
gäre han-i-s
Ich laufe wiiter.
Zletscht barfuess.
AYAKKABILAR
Yeni onlar
acı verirler
baskı yaparlar
hoşuma giderler.
Yürümeye devam ediyorum.
Olağanlar onlar
severim onları
hoşuma giderler.
Yürümeye devam ediyorum.
Eskimişler
Buruşmuşlar
eğrimişler
ve dağılmış
severim onları
Yürümeye devam ediyorum.
Sonunda yalınayak.
Käthi Kaufmann-Eggler
schreibt in Schweizerdeutsch
Türkisch von Yigit Topkaya.
Aus: Käthi Kaufmann-Eggler, «Mängisch überlaufts», Eigenverlag 1981 und: «igajanumenechligaluege», Limmat Verlag, Zürich 2007.
Dä Schuss isch hinänusä
S Chalb wäär bigoscht
nöd uf dä Gedankä choo
das äs im näggschtä Moment
tood zemäsaggät
troffä vo dä Chuglä
vom Metzgär wos doch
gad no so flattiärt hät
Dä Metzger sälb wär
au nöd uf dä Gedankä choo
das äär im näggschtä Moment
zemäsaggät wenn är aptruckt
Und s Chalb hät sich
überhoppt nöd gwundärät
das äs no ggläppt hätt
wo dä Metzger
tood am Bodä gglägä isch
Ä richtigs Chalb äbä
Der Schuss ging nach hinten los
Das Kalb wäre sicher nicht
auf den Gedanken gekommen
dass es im nächsten Moment
tot zusammensackt
getroffen von der Kugel
des Metzgers der es doch
eben noch so lieb gestreichelt hat
Der Metzger selbst wäre
auch nicht auf den Gedanken gekommen
dass er es sein würde der im nächsten Moment
zusammensackt wenn er abdrückt
Und das Kalb hat sich
überhaupt nicht gewundert
dass es noch lebt
als der Metzger
tot am Boden lag
Ein richtiges Kalb eben
Erwin Messmer
schreibt in Schweizerdeutsch
Hochdeutsch von Mariann Bühler & Erwin Messmer
Aus: Erwin Messmer, «Gschlaik und Gschtelaasch», Drey-Verlag Gutach, 2010.
Flèches blanches
sur la route
pourtant je ne sais
où je vais.
Weisse Pfeile
auf der Strasse
trotzdem weiss ich nicht
wohin ich gehe.
Marcel Miracle
schreibt in Französisch
Deutsch von Markus Hediger
Aus: Marcel Miracle, «Au-delà Lisboa», Art&Fiction, Lausanne 2009.
VILLÁGPOLGÁROK
minket a holtakhoz sorolnak
holtaknál holtabbaknak
kihullottunk az idő ből
sehová tartozó idegenként
őrködünk
újat nem mondóan
régi formák és tradíciók felett
eldadogjuk
kérdezetlen veszélytelen
politikamentes jámbor szavakkal
kívülállóságunk gondolatait
csigaháztaktikával
túlérzékenyen
hiába nyújtjuk nyakunk új identitás után
túltenyésztett
túlalkalmazkodott
papír – és pénznyaló
polgárok
emberséget játszunk
mint gyermekek egykor
és elveszítjük nyelvünk aranyát
EXIL-WELLTBÜRGER
wir zählen zu den Toten
toter als die Toten
sind aus der Zeit gefallen
nirgends hingehörend fremd
wir bewahren
ohne Neues zu sagen
die alten Formen und Traditionen
wir stottern
unpolitisch
ungefährlich ungefragt
die harmlosen Worte
unsrer Aussenseiter-Sorgen
mit Schneckenhaustaktik
überempfindlich
ringen wir umsonst
um eine neue Identität
überzüchtet
überangepasst
Pass- und Geldleckerbürger
wir spielen Menschsein
wie einst als Kinder
wir sind die grössten Sprachverlierer
Agnes Mirtse
schreibt in Ungarisch
Deutsch von Agnes Mirtse
Aus: Agnes Mirtse, «Wunschbrüchig /vàgy-zavar», Limmat Verlag, Zürich 2004.
KÖ-EMBER
a fa is segít
meg kő
csak te nem
ember
STEIN-MENSCH
der Baum hilft mir
Stein auch
nur du nicht
Mensch
Wo ich einst war,
blieb etwas
von mir zurück,
und etwas
trug ich fort.
Bin da,
bin dort.
我去过的地方
留下了
一些什么
带走了一些
什么
我在这儿
我在那儿
Jos Nünlist
schrieb in Deutsch
Chinesisch von Dong Li
Aus: Jos Nünlist, «Tränenstein Sonnenstern», Verlag im Waldgut, Frauenfeld, 2006.
Poem
Whales
are
sad
in
rain
only
tail
and
bow
back
showing.
Then,
back
to
luminous
dark
full
of
sound
Gedicht
Wale
sind
traurig
im
Regen
nur
Schwanz
und
Bug
rücklings
zur Schau.
Dann
zurück
in
leuchtendes
Finster
voll
mit
Klang.
Jeanine Osborne
schreibt in Englisch
Deutsch von Elisabeth Wandeler-Deck.
Aus: Jeanine Osborne, «Moderne Poesie in der Schweiz», Limmat Verlag, Zürich 2013.
Uclan
Las chasas scruoschan
aint il sulai da marz.
Mezdi s’ha plachà
cun alas da sprer.
Il cheu pozzà cunter il mür,
vezza tras larmas
a passar speravia
l’uffant ch’eu d’eira.
Weiler
In der Märzsonne
knistern die Häuser.
Der Mittag rauschte herab
mit Habichtsflügeln.
Ich lehne den Kopf an die Mauer
Und sehe durch Tränen
ein Kind vorübergehen,
das Kind, das ich war.
Andri Peer
schreibt in Rätoromanisch
Deutsch von Herbert Meier
Aus: Andri Peer, «Poesias – Gedichte», Desertina Verlag, Chur 1988.
Hunderste gedicht ohne trenen
noch immer bin ich nicht richtig von hier
von hier richtig sehe ich
das ich von irgends komme
kein Buch nimmt sich meiner an
kein Brandanschlag verbrennt
uns alle
wir sind eine art schlimme
befruchtung
tauchen unter
lernen schwimmen
ringen mit gegnern in spigeln
schlagen wurzeln über die erde
was wechst ist kraut
über feuerwunden
noch immer wird mir täglich zwei mall
mein ursprung aufgetischt
aber sie sprechen schon
gut deutsch
konnte ich nicht deutch
hette ich nihts verstanden
das ich so anderes bin.
Dragica Rajčić
schreibt in Deutsch
Aus: Dragica Rajčić, «Post Bellum» Edition 8, », Zürich: 2000.
vasuch hande zu waschen
an gutten willen soll es nicht scheitern
noch mall deutlich zu sagen
ich bin weltmensch
habe gern Sahara wie Sibir
kenne geographie auchgut so
Kosmopolit bin ich
im besten sinne
kartoffeln kommen auch aus irgendwo
ich beschaffe mir satelitenprogram
das mir hunger nirgendswo
ausblendend bleibt
ich lerne auf sieben sprachen
Gute nacht zu sagen
an meine erziehung soll es nicht liegen bleiben
wenn meinesgleichen Welt mit gewehr und sege
erobern.
Vorsichtige weise habe ich auf dem mars
schon ein stücklein land erworben
Recept za ukusnu pjesmu
bioloski bezprijekornu
Uzmite najsrije pola kilograma suncanih zraka
tucite ih s obje strane dok
ne zakisi
ljubavna patnja
Podgrijte stanje duha
uljem strave
„nitko me ne razumije“
dvadeset minuta pjesnickog prenemaganja
sad smanjite vatru na
boli me neka stvar
engleski cool
ako jos imate jedan crni sesir
stavit ga na glavu
neka svatko shvati da ste staromodni
Jedite pomalo,
zvacite dugo
u danasnje doba
nitko
ne narucuje poeziju
kao glavno jelo
rezept für bekommliches gedicht
biologisch unbedenklich
nehmen sie zuerst halbes kilo sonnenstrahl
schlagen sie von beiden seiten bis
es nicht regnet
von liebes kummer
erhitzen sie gemüt mit
horor öil
niemand versteht mich
also zwanzig Minuten dichterisches gejammer
dempfen sie jetzt Feuer auf
nonschalant
englisch coool
wenn sie noch einen schwartzen hut haben
setzen sie dem auf
das jeder weiss das Sie von gestern sind
essen sie langsam
kauen sie gut
niemand
heut zu tag
nimmt lyrik als
hauptspeise.
в море
aдиночество синë
a за горою
онo дышит зеленo
кaнечно ʙce ϶то
не прaвдa
но лишь тaк cмогу я
крacочно aдиночество
перехитрить
im meer ist
einsamkeit blau
und hinter dem berg
atmet sie grün
das ist natürlich eine
lüge
aber so kann ich
einsamkeit farbig
überlisten
Dragica Rajčić
schreibt in Deutsch
Aus: Dragica Rajčić, «Integracion»,(M. Bjelorusets/Ol. Hryhorenko), K, Prostory/Smal’ta 2014.
Koffer
Koffer sind Koffer
sind Abschied
sind Leder
sind Fass-mal-an
sind Pack-mich-voll
und wieder aus
sind Bäuche
sind Häuschen
sind Wir-ziehen-von-
hier-nach-dort
und von dort
ach ja
nach weiter
Walizki
Walizki to walizki
to pożegnania
to skóra
to dotknij-mnie
to spakuj
to rozpakuj-mnie
to wybrzuszone boki
to nasze małe domki
to przenosimy-się-stąd
do-tamtąd
a stamtąd
no tak
jeszcze dalej
Ilma Rakusa
schreibt in Deutsch
Polnisch von Halina Janod
Aus: Ilma Rakusa, «Mehr Meer», Literaturverlag Droschl, Graz 2009.
Sommer
Sommer ist:
wenn das Zimmer bei halbgeschlossenen
Jalousien vor sich hin dämmert,
wenn eine einsame Fliege brummend
das Freie sucht und nicht findet,
wenn draussen Zikaden zirpen
bei brütender Hitze, während über
die Fliesen Lichthasen huschen,
zitternd weisse Geschöpfe,
und Vasen, Töpfe, Krüge als
Stilleben gänzlich ruhen.
Lato
Lato jest
kiedy pokój sobie drzemie
a żaluzje są spuszczone do połowy,
kiedy bzyczy pojedyncza mucha
bo chce na wolność i nie daje rady,
kiedy na tym nieznośnym skwarze
cykady cykają, a na kafelkach
odbijają się zajączki
jak jasne drżące stworzenia,
a wazy, misy i dzbanki jako martwa natura
nie poruszają wcale
Ilma Rakusa
schreibt in Deutsch
Polnisch von Halina Janod
Aus: Ilma Rakusa, «Langsames Licht», Literaturverlag Droschl, Graz 2016.
Conversations with the Dead
Sometimes the dead come back to say goodbye,
like you, just now, your skinny teddy-boy tie
and guitar tie-pin slightly askew.
Here, let me fix it. You’ve lost weight.
You showed me how to do the Windsor knot
and the half-Windsor, before you were shot.
You won’t remember the summer of punk in Amsterdam,
Marnix who cocked himself up and whatsisname,
the tongue-tied dark-eyed boy from Surinam.
Runaways. They could be middle-aged by now,
haunting the canals. Sometimes you don’t know
they’ve died and say: long time no see.
The gung-ho dead will chat you up the way
they did in life. Are you gay? they say,
or are you going to the disco on Saturday
or who’s your little friend with the earring?
They stand there flexing their muscles, gurning
at the light. One old fogey kept repeating:
do you remember back in seventy-eight
you stole The Real Life of Sebastian Knight
from Shakespeare & Co? You should set that right.
Those whom the gods love die young.
You make allowances. You bite your tongue.
Once my mother turned up pleading: son,
I taught you the twist when you were only four.
I taught you the hucklebuck on the kitchen floor.
Would you not dance with me once more?
Gespräche mit den Toten
Manchmal kommen die Toten zurück und sagen ade
wie du, gerade jetzt, schmaler Teddyboy-Schlips
und Gitarren-Krawattennadel leicht scheps.
Da, lass mich die richten. Bist dünn geworden.
Du hast mir all die Windsorknoten gebunden,
bevor du starbst, an deinen Schusswunden.
Du erinnerst dich kaum an den Sommer des Punk in Amsterdam,
an Marnix, der sich kaputtspritzte und Dingsda,
den stummen schwarzäugigen Jungen aus Surinam.
Ausreisser. Die wären wohl mittleren Alters nun.
trieben sich an den Kanälen rum. Manchmal weisst du nicht,
dass sie tot sind, und sagst: lang nicht gesehen.
Die streitlustigen Toten machen dich an
so wie damals im Leben. Sie sagen, bist schwul?
oder gehst samstags in die Disco, Mann.
oder wer ist dein kleiner Freund mit dem Ohrring da?
Sie lassen ihre Muskeln spielen, verdrehen schon mal
die Augen im Licht. Ein alter Kauz wiederholte zigmal:
Weisst du noch, achtundsiebzig, da hast du doch
The Real Life of Sebastian Knight aus Shakespeare & Co
geklaut? Bring es zurück, s’wär besser so.
Wen die Götter lieben, der stirbt jung.
Du hältst die Schnauze. Dir fehlts an Schwung.
Einmal kam meine Mutter und flehte: mein Jung
Den Twist hab ich dir schon gezeigt mit vier.
Den Hucklebuck getanzt in der Küche mit dir.
Machst du noch mal nen Tanz mit mir?
Padraig Rooney
schreibt in Englisch
Deutsch von André Ehrhard
Aus: Padraig Rooney, «Landing Craft / Angelandet», Wolfbach Verlag, Zürich 2017.
Sül glatsch
Ün corv
sigliuotta
suravi
la pirantüm
Il glatsch
batta
las alas
Auf dem Eis
Ein Rabe
hüpft
über die Kälte
hinweg
Das Eis
schlägt
mit den Flügeln
Leta Semadeni
schreibt in Rätoromanisch und Deutsch
Aus: Leta Semadeni, «Wenn ich Schweiz sage», Merian Verlag, Basel 2010.
10 VARIATIONEN ÜBER HEIMAT[i]
1.
Heimat ist ein Stück Süssigkeit im Schaufenster meiner Seele;
ein Traum, den man (nicht) erzählen darf.[ii]
2.
Heimat ist ein herausragendes Puzzle;
eine ewige Sehnsucht, dieses Puzzle zu vervollständigen.
3.
Heimat ist das Rätsel eines ewigen Spieles,
das zwischen mir und mir stattfindet.
4.
Heimat ist der Gürtel, der mich umgibt,
der mich ins Risiko fallen lässt, mich aber am Leben erhält.
5.
Heimat ist die Sonne aller Sonnen,
die zwischen mir und mir Liebesbriefe austauscht.
6.
Heimat ist das Stück Himmel über dem Kopf,
das mit künstlichen Fingern mit blauem Mitgefühl durch mein Haar fährt.
7.
Heimat ist das Stück Fels,
auf das ich jeden Tag auf dem Weg meiner asymmetrischen Laufbahn stosse.
8.
Heimat ist Sonne, Himmel, Wasser, Stolz,
auch wenn dies streng verboten sein kann.
9.
Heimat ist das goldene Lächeln auf den Lippen eines Unbekannten,
auch wenn es mit erschreckten Augen erscheint.
10.
Heimat ist eine Obsession,
die niemals vollkommen zum Tragen kommt.
[i] Geschrieben und erlebt gestern. Punkt. Geschrieben und erlebt heute. Punkt. In einer asymmetrischen Tag&Nacht. Punkt. Die niemals mehr in dieser Form kommen wird. Punkt
[ii] Inspiriert von einem Vers des albanischen Dichters Ali Podrimja
Isuf Sherifi
schreibt in Albanisch und Deutsch
Aus: Isuf Sherifi, «Die weisse Filzkappe», Verlag im Waldgut, Frauenfeld 2017.
KTHIMI TEK TI
Kthimi tek ti
Është kthimi
Me fytyrë kah vetja
HEIMKEHR
Bei dir, meine Liebste
Stehe ich von Angesicht zu Angesicht
Mir selbst gegenüber
Isuf Sherifi
schreibt in Albanisch
Deutsch von Ferdinand Laholli
Aus: «Blick durchs geöffnete Fenster», Hrsg: Isuf Sherifi und Albanischer Kulturverein «Mëmëdheu», AIKD Verlag, Prishtinë, 2005
Labirint
Brenda lëkurës sime prej ëndrre
Si të isha i melodishmi det
Dita ushqehet me gjerësi zemre
Pa ditur të rreshtë
Labyrinth
Unter der Haut des Menschen –
Als wäre darin ein traumhaftes Meer von Tönen –
Ernährt sich der Tag mit der endlosen Weite des Herzens
Ohne aufhören zu können.
ENIGMË
Zot i dashur
Këtu
Poshtë
Shumë rrugë
Humbur
Kanë
Të robëruara
Mbteur janë
Pas shumë rrugëve
Të reja
gjurmohet
RÄTSEL
Lieber Gott
Hier
Unten
Sind viele Wege
Verloren
Gegangen
Sind gefangen
geblieben
Nach vielen Wegen
Anderen, neuen
wird gefahndet
Schwierige Verständigung
Es heisst nicht
ich liebe dich
auch nicht
je t‘aime
ti amo, te quiero
schon gar nicht
I love you
Ljubim te
heisst es
ljubim te dušo moja
Wer sagt es mir
in meiner
Sprache
Dina Sikirić
schreibt mehrsprachig
Aus: Dina Sikirić, «Das Gelb der Quitten», Verlag im Waldgut, Frauenfeld 2018.
AARE, MEIN FLUSS, VOM MOND GESEHEN
Es rinnt eine silberne Ader
über die Schuppenhaut
des Planeten
verbindet den Gletscher
mit der kleinen Stadt
und dem Meer.
Meine Tränen sind Salzwasser
mein Herz
ein Quell.
LUMI IM AARE, PARË PREJ HËNËS
Një damar i artë pulson
mbi lëkurën e rreshkët
te planetit
malit të akulluar
qytetit të vogël dhe detit
i bëhet bashkim.
Lotët e mi kripëruar
zemra ime
burim.
Claudia Storz
schreibt in Deutsch
Albanisch von Ferdinand Laholli
Aus: «Blick durchs geöffnete Fenster», Hrsg: Isuf Sherifi und Albanischer Kulturverein «Mëmëdheu», AIKD Verlag, Prishtinë, 2005 (Deutsche Erstveröffentlichung in: «Federleichter Viertelmond», eFeF Verlag, 2005)
Djerracaku
Kudo ngre tendë
Nuk çan kokën
Për ftohje veshkash
Humb peshë
Duke uruar
Zhdukjen e natës
Busulla i ndryshket
Kur mbetet pykë në udhëkryq
Kudo ngre tendë
Djerracaku
Der Streuner
Überall schlägt er das Zelt auf
Zerbricht sich nicht den Kopf
Über verkühlte Nieren
Verliert Gewicht
Bei Wünschen
Die Nacht möge schwinden
Sein Kompass rostet
Wenn er am Kreuzweg steht wie festgekeilt
Überall schlägt er das Zelt auf
Der Streuner
Vaxhid Xhelili
schreibt in Albanisch
Deutsch von Hans-Joachim Lanksch
Aus: Vaxhid Xhelili, «Sehnsucht nach Etleva / Malli për Etlevën», Limmat Verlag, Zürich 2001
Personne n’est poète
Personne n’est poète
On est flamme et
On s’abat sur la roche
On sculpte la montagne
On tisse la toile le temps
Personne n’est poète
On est pris dans les tensions
On est entre les nuages
Courant électrique
En attente de décharge
Personne n’est poète
L’esprit se souvient
D’où il vient
Et il parle sa seule langue
Sa vraie grotte
Son vrai talisman
Sa kora intime
Sa lignée secrète
Son chapelet unique
La nuit de son lendemain
Niemand ist Dichter
Niemand ist Dichter
Wir sind Feuer und
Wir stürzen uns auf das Gestein
Wir meißeln die Berge
Wir spinnen das Netz die Zeit
Niemand ist Dichter
Wir sind in Spannungen geraten
Wir sind zwischen Wolken
Elektrischer Strom
Der seiner Entladung harrt
Niemand ist Dichter
Der Geist entsinnt sich
Seiner Herkunft
Und spricht seine einzige Sprache
Seine wahre Höhle
Seinen wahren Talisman
Seine ihm eigene Kora
Seine heimliche Nachfolge
Seinen einzigen Rosenkranz
Die Nacht seiner Zukunft
Henri-Michel Yéré
schreibt in Französisch
Deutsch von Ina Böhme
Aus: Henri-Michel Yéré, «Mil Neuf Cent Quatre-Vingt-Dix», Ivry-sur-Seine, Panafrika 2015.
Stagjonâi
lassâ
la famea
la cjasa
il bearç
l’ostaria
i amîs
las pedradas
un cîl di sisilas
i odôrs
di una vita
strengi
tar na valîs
i vistîts
plens di bosc
i ricuarts
e las fotografias
un toc di formadi
il livel
un salam
una cjaça
dôs coculas
il plombin
e una lagrima
ingossada
bussâ
la femina
i fruts
ridìnt
plens di poura
di mètisci
a vaî
e po lâ
cun corieras
e trenos
lontans
dulà che l’âga
a à un âti savôr
e no sàn fâ la polenta
e il vin
nol sà da nuja
e la int
a à pressa
lâ
pensant
a novembre
a vacja
ch'a i tocja
al pecol
rot
da olza
durmî
intuna baraca
cun int
ch'a rangussa
dopo vê neât
ta bira
il ricuart
di nots
plenas di fôc
e i mateçs
dal canaj
tas moschetas
Saisonarbeiter
verlassen
die Familie
das Haus
den Garten
das Wirtshaus
die Freunde
die Dorfstrassen
einen Himmel voll Schwalben
die Gerüche
eines Lebens
stopfen
in einen Koffer
Kleider
voll Waldgeruch
Andenken
und Fotos
ein Stück Käse
eine Wasserwaage
einen Salami
eine Maurerkelle
ein paar Nüsse
ein Lot
und eine erstickte
Träne
küssen
die Frau
die Kinder
lachend
voller Angst
dass man anfängt
zu weinen
und dann fort
mit Autobussen
und Zügen
weit weg
dorthin, wo das Wasser
einen andern Geschmack hat
und sie keine Polenta machen können
wo der Wein
nach nichts schmeckt
und die Leute
immer in Eile sind
gehen
in Gedanken
im November
bei der Kuh
die bald kalbt
bei der kaputten
Runge
des Schlittens
schlafen
in einer Baracke
mit andern
die schnarchen
nachdem sie
im Bier
die Erinnerung ertränkt haben
an Nächte
voll Feuer
und an das Grabschen
des Kleinen
nach dem Schnurrbart
Leonardo Zanier
schreibt in Friaulisch
Deutsch von Laura Pradissitto
Aus: Leonardo Zanier, «Den Wasserspiegel schneiden / Sot il pêl da l'âga», Limmat Verlag, Zürich 2002.